• Unser rasender Stillstand: atemlos, aber wirkungslos
    Jun 14 2024

    Diese Woche habe ich eine sehr nette Rückmeldung zu meinen Wochenkommentaren erhalten: Die Person schrieb mir, es sei für sie jeweils der journalistische Höhepunkt der Woche. Herzlichen Dank dafür. Aber dann kam eine Bemerkung, die mich ins Grübeln brachte. Die Person schrieb, dass der Text manchmal etwas atemlos klinge, als wäre er ohne Punkt und Komma geschrieben und gelesen. Das Wort «atemlos» blieb mir hängen. Atemlos. Ich habe tatsächlich Angst, zu langsam zu schreiben, zu langsam zu sprechen, zu langsam zu sein, zu wenig zu tun, zu wenig effizient zu sein. Die Folge ist Atemlosigkeit. Goethe warnte vor dem Veloziferischen, jener Beschleunigung, die ebenso teuflisch wie verführerisch ist. Sie führt zu dem, was Paul Virilio den «rasenden Stillstand» nennt. Ich glaube, wir stecken mittendrin: in einer auf Effizienz und Geschwindigkeit getrimmten Welt im rasenden Stillstand. Mein Wochenkommentar zu unserer Atemlosigkeit – meiner eigenen und die der Gesellschaft um mich herum.

    Matthias Zehnder ist Autor und Medienwissenschaftler in Basel. Er ist bekannt für inspirierende Texte, Vorträge und Seminare über Medien, die Digitalisierung und KI.
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  • Die geheimnisvolle Kraft des Lesens
    Jun 7 2024

    Letzte Woche habe ich Ihnen im Rahmen meiner Buchtipps den neuen Roman von Percival Everett vorgestellt: «James» erzählt die Geschichte von Huckleberry Finn neu aus der Sicht des schwarzen Sklaven. Bei Mark Twain hiess er Jim, bei Everett nennt er sich James und er ist gebildet. Nach der Lektüre ging mir eine Stelle im Buch nicht mehr aus dem Kopf. James denkt darin über die Kraft des Lesens nach. Eine Kraft, die sich, wie bei Salma Rushdie und einer ganzen Reihe anderer Schriftsteller, auch gegen den Autor wenden kann. Bei uns hat das Lesen in den letzten Jahren ständig an Stellenwert verloren. Die Lesekompetenz der Jugendlichen war schlecht und ist mittlerweile miserabel. Bei den Erwachsenen sieht es noch düsterer aus. Von der befreienden, ja subversiven Kraft des Lesens ist kaum die Rede. Dafür gibt es jede Menge Tipps zu Speed Reading und zu Leselern-Apps und neuerdings kann man sich Bücher auch von plappernden KI-Programmen erschliessen lassen. Ich glaube, was das Lesen angeht, sind wir auf dem Holzweg. Wir sollten eher darüber nachdenken, vor dem Lesen zu warnen. In meinem Wochenkommentar erkläre ich Ihnen diese Woche, was die geheimnisvolle Kraft des Lesens ausmacht.

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  • Kafka lesen – eine Anleitung
    May 31 2024

    Vor 100 Jahren, am 3. Juni 1924, starb Franz Kafka. Das ist nicht zu übersehen: Die Flut an Büchern, Filmen und Hörstücken über Franz Kafka ist gigantisch. Sein schmales Werk wird davon geradezu erdrückt. Bisheriger Höhepunkt im 100. Todesjahr: eine sechsteilige Fernsehserie von ARD und ORF, geschrieben vom Schriftsteller Daniel Kehlmann, mit dem Schweizer Schauspieler Joel Basman in der Titelrolle. Kafka gilt, wie Mozart, als Unvollendeter, als zu früh verstorbenes Genie. Kafka ist als Aussenseiter, als geheimnisvoller Autor der «Verwandlung», als Unverstandener zur Figur der Popwelt geworden. Kein Wunder, dass ihn Andy Warhol in leuchtendem Blau vor schwarzem Hintergrund portraitierte. Dem Autor Kafka bekommt die Verehrung nicht: Sein Werk droht hinter all den Biografien, Darstellungen und Devotionalien zum Klassiker zu verblassen, dem sich junge Leserinnen und Leser nur noch im Unterricht und mit Interpretationshilfen nähern. Dabei ist das gar nicht nötig. In meinem Wochenkommentar gebe ich Ihnen diese Woche deshalb eine kleine Anleitung für das Lesen von Kafka.

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  • Wer sind Sie – und wer wollen Sie sein?
    May 24 2024

    Wie stellen Sie sich vor? Klar, mit Namen. Aber was kommt danach? Wie sagen Sie, wer Sie sind? Ich bin, je nach Kontext, Autor, Medienwissenschaftler, KI-Kritiker oder Medienberater. So sehe ich mich – es ist das, was ich tue. Aber: Wer bin ich? Was ist meine Identität? Auf der Identitätskarte stehen Nationalität, Geschlecht und Grösse. Die Hautfarbe steht da nicht, sie ist offensichtlich weiss. Dafür steht der Heimatort. Der hatte vielleicht mal etwas mit meiner Herkunft zu tun, aber sicher nichts mit Heimat. Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Vom Internet haben wir uns damals, als es neu war, eine Befreiung erhofft: die Möglichkeit, endlich unterschiedlichste Identitäten auszuspielen. Eingetreten ist das Gegenteil: Noch nie haben wir die Menschen so sehr in Schubladen gesteckt. Das gilt auch und gerade für Menschen wie Nemo, die sich nicht einschachteln lassen möchten. Auch für sie haben wir Kategorien, Identitäten und Schubladen bereitgestellt. Warum nur beharren wir so auf dieser einen Identität eines Menschen? Max Frisch sagt: Identität ist keine Eigenschaft, sondern die Geschichte, die wir über uns selbst erzählen. Die Geschichte, mit der wir unserem Leben Sinn geben. Oder es zumindest versuchen. Mein Wochenkommentar über die Identität.

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  • Von Nemo bis zur Unibesetzung: Plötzlich ist alles politisch
    May 17 2024

    Bambie Thug, die Irland am Eurovision Song Contest vertrat, malte sich die Fingernägel in den Farben der palästinensischen Flagge an. Der australische Sänger Fred Leone hatte sich eine Wassermelone auf die Brust gemalt, das Zeichen für Palästina. Joost Klein, der Sänger aus den Niederlanden, bedeckte seinen Kopf mit seiner Flagge, als die Israelin Eden Golan an der Pressekonferenz sprach. Das Belgische Fernsehen unterbrach die Übertragung ihres Songs mit einer Anti-Israel-Botschaft. Die Jury gab der Israelin nur wenige Punkte, aus England etwa gab es keinen einzigen. Um Musik ging es dabei nicht, sondern um Politik. Es ging nicht darum, wie Eden Golan sang, sondern wer da sang. Nach dem turbulenten Wochenende in Malmö besetzte ein Kollektiv «Unibas4Palestine» das Bernouillanum der Universität Basel. Wie an amerikanischen Universitäten und an den Hochschulen in Lausanne, Neuenburg und Zürich ging es auch in Basel nicht um einen akademischen Diskurs, sondern um Forderungen an die Universität. Jahrelang haben wir uns über eine eher unpolitische Jugend mokiert – plötzlich ist jetzt wieder alles politisch. Auch Nemo, die siegreiche Schweizer Vertretung am ESC, bringt sich mit einem politischen Anliegen ein: der Forderung nach einem dritten Geschlecht. In meinem Wochenkommentar sage ich Ihnen diese Woche, was aus meiner Sicht an dieser emotionsgeladenen Politisierung problematisch ist.

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  • KI und die Schule – Rolltreppe statt Kletterpartie?
    May 3 2024

    ChatGPT und Google Gemini, Microsoft Copilot und Adobe Firefly haben die Magie an den Computerarbeitsplatz zurückgebracht. Mit den neuen Tools kann man auf Knopfdruck zaubern: Texte, Bilder und Präsentationen entstehen wie von selbst auf dem Bildschirm. Ist das Arbeiten jetzt ganz einfach? Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten scheinen das zu glauben. Sie fragen sich, warum sie noch mühsam lernen sollen, wenn die KI doch auf Knopfdruck für sie arbeitet. Zumal die Generation, die heute in den Klassenzimmern und Hörsälen sitzt, es gerne mal gechillt angehen lässt und der Generation Boomer, also meiner Generation, verkrampftes Leistungsdenken vorwirft. Haben die Jungen Recht? Können sie in Zukunft chillen und die KI arbeiten lassen? Wird aus der anstrengenden Kletterpartie, die Arbeit bisher war, eine sanft surrende Rolltreppe, auf der man sich entspannen kann? Ganz im Gegenteil. KI wird die Arbeit anspruchsvoller und anstrengender machen. Denn in aller Regel werden wir nicht für das Resultat einer Arbeit bezahlt, sondern für den Unterschied, den wir mit unserer Arbeit dabei erzielt haben. Und diesen Unterschied zu erzielen, wird schwieriger. Mein Wochenkommentar über die Anforderungen, die KI an Schule und Unterricht stellt.

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  • Daniel Dennett und der Mensch als Maschine
    Apr 26 2024

    Letzte Woche habe ich hier über den «Eliza-Effekt» gesprochen, der das übergrosse Vertrauen erklärt, das Menschen einem chattenden Computer entgegenbringen. Eliza war der Name eines einfachen Chat-Programms, das der deutsch-amerikanische Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum bereits 1966 entwickelt hatte. Die Menschen, die Eliza benutzten, waren überzeugt, dass der Computer sie verstand. Das wirft die Frage auf: Was ist es, das uns Menschen ausmacht? Goethe war überzeugt, dass der Mensch einen göttlichen Funken in sich trägt. Es ist ein Funke, der selbst das Grauen des Zweiten Weltkriegs überdauert. In Erich Maria Remarques Roman «Der Funke Leben» ist er auf die Hoffnung und den Überlebenswillen einiger Häftlinge im Konzentrationslager reduziert. Trotz des Grauens im Lager bewahren sie ihre Menschlichkeit. Der «Funke Leben» steht für die Unzerstörbarkeit des menschlichen Geistes. Auch John R. Searle ist überzeugt, dass es dieser Wille ist, der den Menschen ausmacht und ihm Bewusstsein verleiht. Der amerikanische Philosoph Daniel C. Dennett ist anderer Meinung. Für ihn ist der Mensch eine biologische Maschine und schlicht das Ergebnis der Evolution. Dennett sieht daher prinzipiell keinen Unterschied zwischen der biologischen Maschine Mensch und einer technischen Maschine mit künstlicher Intelligenz. Diese Woche ist Daniel C. Dennett gestorben. Ein Anlass, an seine Gedanken zur künstlichen Intelligenz zu erinnern: Ist der Mensch nur eine Maschine?

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  • Der Eliza-Effekt: Warum wir auf Computer reinfallen
    Apr 19 2024

    Wie intelligent sind Computer? Verstehen sie uns? Verstehen sie unsere Gefühle und Sehnsüchte? Davon sind heute viele Menschen überzeugt. Auch und gerade Programmierer. Blake Lemoine zum Beispiel war leitender Ingenieur bei Google – bis die Firma ihn entliess. Der Grund: Lemoine war überzeugt, dass die KI von Google keine seelenlose Maschine mehr sei, sondern ein Wesen mit Gefühlen und einem Bewusstsein. Die meisten Nutzer gehen nicht so weit. Immer mehr Menschen fühlen sich aber von den chattenden KI-Programmen gut verstanden. Manchmal sogar besser als von Menschen. Warum ist das so? Was bringt uns dazu, einer Maschine so viel Verständnis und Gefühl zu attestieren? Die Antwort findet sich in einem Experiment, das der deutsch-amerikanische Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum bereits 1966 durchgeführt hat. Das Programm, das er dafür entwickelte, hiess «Eliza». Die menschliche Vertrauenseeligkeit gegenüber Maschinen heisst seither «Eliza-Effekt». Mein Wochenkommentar über Joseph Weizenbaum und den Eliza-Effekt.

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    17 mins